Geheimdienste sind ein Schandfleck der Demokratie

Rede Astrid Goltz (Humanistische Union)

Edward Snowden erklärte vor einem Jahr: „Mehr als Gefahren für Leib und Leben fürchte ich, dass die Aufdeckung des Überwachungsskandals tagespolitisch im Sande verläuft.“ Wenn man sich ansieht, was unsere Regierung seitdem getan hat, läuft es aber darauf hinaus: stillhalten und warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Das No-Spy-Abkommen mit den USA, das Merkel forderte: gescheitert. Diplomatische Gespräche mit den Freunden in den USA: ohne Ergebnis. Den Datenschutz auf EU-Ebene voran treiben: wo sind die Fortschritte? Dass nicht das gesamte Parlament schläft, merken wir daran, dass es einen NSA-Untersuchungsausschuss gibt. Hier müssen die Regierung und die Geheimdienste zumindest Rede und Antwort stehen, auch wenn mit neuen Erkenntnissen nicht zu rechnen ist. Die große Koalition aber scheint in einen Tiefschlaf gefallen. Lasst uns an diesem Samstag Nachmittag noch einmal in dieses tief schlafende Regierungsviertel rufen: Aufstehen statt Aussitzen!

Eine Antwort gibt es von Merkel und Co auf die Spähaffäre: Die Kanzlerin will mitspielen im globalen Wettrüsten der Geheimdienste. Im nächsten Jahr will sie den Etat des BND um 1⁄4 erhöhen auf über 600 Millionen €. Damit dieser Datenflüsse der sozialen Netzwerke in Echtzeit abgreifen kann nach dem Vorbild von NSA und dem britischen Geheimdienste GCHQ. Beim Inlandsgeheimdienst sollen laut IT-Sicherheitsgesetz 55 neue Stellen geschaffen werden. Aufrüsten statt Abschalten der Geheimdienste – das ist die Antwort der Regierung auf den Überwachungsskandal!

Letzte Woche hat die Bundesregierung ihre „digitale Agenda“ vorgestellt. Sie soll das Vertrauen der Bürger/innen in digitale Kommunikation stärken. Doch wenn man genau liest, dann verspricht die Agenda neue Abhörwerkzeuge für den Inlandsgeheimdienst. Und erwähnt die massenhafte Ausspähung der Geheimdienste weltweit und die Enthüllungen Edward Snowdens mit keinem Wort. Merkel und de Maiziere machen keinen Finger krumm, um uns vor der massiven Überwachung unserer Privatssphäre zu schützen. Nein, sie päppeln ihre Geheimdienste mit Millionen an Steuergeldern und wir Bürger/innen bezahlen für unsere eigene Überwachung. Das ist absurd!

Dabei sind die deutschen Geheimdienste keinen Deut besser als ihre Pendants aus anderen Ländern. Wenn der BND türkische Politiker und US-Außenminister Kerry abhört, kann sich Frau Merkel dann noch beschweren, dass die NSA an ihrem Handy lauscht? „Aber davon haben wir ja nichts gewusst!“, meldet sich das Parlamentarische Kontrollgremium. Ja, von was für einer Kontrolle sprechen wir denn hier? Blinde Wächter ohne Schwert, dass sind die deutschen Geheimdienstkontrolleure. Sie befassen sich nur mit dem, was die Geheimdienste ihnen über ihre Arbeit berichten – und das ist offensichtlich sehr lückenhaft. Sie tagen im Geheimen und dürfen der Öffentlichkeits nichts über ihre Arbeit sagen. Eine transparente Kontrolle sieht anders aus!

Nicht nur der BND dreht frei, auch der Inlandsgeheimdienst mit dem so unpassenden Namen „Verfassungsschutz“. Der Thüringer Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden spricht in seinem Abschlussbericht das aus, vor dem niemand mehr die Augen verschließen kann: über den Inlandsgeheimdienst besteht der „Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens des Auffindens der Flüchtigen“. Das heißt: Der Geheimdienst hat die mordenden Nazis gedeckt und gewarnt, er hielt seine schützende Hand über sie. Dieser Geheimdienst ist eine Gefahr für die Verfassung. Er ist nicht kontrollierbar und nicht reformierbar. Da hilft nur eins: Verfassungsschutz abschaffen!

Die Humanistische Union fordert als älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation schon seit langem die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes. Vor Kurzem haben wir unsere Kritik in einem Memorandum zusammen gefasst. Und wir haben die Kampagne „ausgeschnüffelt“ ins Leben gerufen, die mit Aktionen zum Mitmachen unsere Forderung in die Öffentlichkeit trägt und von Überwachung Betroffenen eine Stimme verleiht. Ihr könnt unser Anliegen unterstützen, indem ihr unseren Aufruf unterzeichnet und euch auf unserer Seite informiert: www.ausgeschnueffelt.de.

Und natürlich sind wir nicht die einzigen. Im Post-Snowden-Zeitalter wächst im ganzen Land die Empörung gegen Überwachung. Große Demos gab es zum Beispiel in Bad Aibling, wo die Abhörstation von BND und NSA steht, in Köln und bundesweit formiert sich das Bündnis #StopWatchingUs. Tausende forderten „ein Bett für Snowden“. Menschen, die sich noch nie mit Datenschutz und Open Source beschäftigt haben, gehen plötzlich zu Cryptoparties und lassen sich zeigen, wie man E-Mails verschlüsselt und welche alternativen Programme man nutzen kann. Und morgen trifft sich die Bewegung erstmals zu einem Forum gegen Überwachung hier in Berlin, um neue Pläne für den Widerstand gegen die Massenüberwachung zu schmieden. Ich hoffe, ihr seid alle dabei!

Mir macht das Hoffnung. Hoffnung, dass wir unsere Grundrechte verteidigen können gegen den Überwachungswahn. Dass wir die Demokratie hochhalten können gegenüber den Geheimdiensten, die in jeder Demokratie einen Schandfleck darstellen. Dass wir in Freiheit leben können, denn wer überwacht wird, ist niemals frei. Wir sind heute hier und wir sind viele. Und wenn der nächste Skandal kommt, wenn die Regierung uns mit Vorratsdatenspeicherung kommt, mit neuen Datenpools von Polizei und Geheimdiensten und mit neuen Millionen für die Geheimdienste, dann können sie sich sicher sein, dass wir wieder auf der Straße sein werden. Unser Protest ist groß und vielfältig. Und wir sprechen mit einer Stimme, wenn wir sagen: Wir lassen uns nicht länger bespitzeln. Stop watching us! Wir wollen Freiheit, ihr sät Angst. Freiheit – statt Angst!