Die Vorratsdatenspeicherung darf nicht wieder eingeführt werden

Rede Peter Schaar (Bundesdatenschutzbeauftragter a. D.)

Liebe Gegnerinnen und Gegner der Vorratsdatenspeicherung!

Peter Schaar

Peter Schaar

Im April dieses Jahres beerdigte der europäische Gerichtshof die Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung. Die generelle, anlasslose Speicherung von
Telekommunikationsdaten ist weder mit dem Grundrecht auf Privatsphäre noch mit
dem Grundrecht auf Datenschutz vereinbar.

Die europäische Grundrechtecharta gebietet es, dass sich
Grundrechtseinschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken müssen.
Das oberste europäische Gericht hat im April festgestellt, dass die
Vorratsdatenspeicherung mit diesem Grundsatz unvereinbar ist, weil sie – ich zitiere
“alle Personen umfasst, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne
dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, auch
nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte.“ Es würden also auch Daten von Personen gespeichert, bei denen – Zitat – „keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbar oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte.“

Dieses Urteil des höchsten europäischen Gerichts bestätigt unsere seit Jahren
vorgebrachte, aber von den Europäischen Gremien bisher nicht gehörte Kritik.
Das von den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung vorgebrachte Argument,
Deutschland müsse wegen der europarechtlichen Vorgaben die vom
Bundesverfassungsgericht vor vier Jahren kassierte Vorratsdatenspeicherung
wieder einführen, hat sich am 8. April in Luft aufgelöst. Das gegen Deutschland
eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wurde sang- und klanglos eingestellt.

Das Urteil gilt nicht nur für die europäischen Gremien, sondern auch für die
Mitgliedstaaten. Plötzlich war Deutschland der einzige EU-Mitgliedstaat, der den
Vorgaben des europäischen Rechts entspricht, eben weil es bei uns keine
Vorratsdatenspeicherung gibt.

Die Vorratsdatenspeicherung ist tot, müsste man eigentlich meinen. Leider stimmt
dies nicht. So hat das britische Parlament vor kurzem ein Gesetz beschlossen, das
noch über die vom EuGH annullierte Regelung hinausgeht. Zur
Vorratsdatenspeicherung verpflichtet werden in Großbritannien nicht nur die
Anbieter von Telekommunikationsdiensten, sondern darüber hinaus auch solche
Internetanbieter, für die die Vorratsdatenspeicherung bisher nicht gegolten hatte.

Und bei uns, in Deutschland? Auch hier fordern manche Politiker und Vertreter
von Sicherheitsbehörden unbeeindruckt von der Rechtslage weiterhin die
Einführung der Verpflichtung zur Datenbevorratung.

Dabei sind sie bis heute einen schlüssigen und nachprüfbaren Beweis schuldig geblieben, dass sich durch die massenhafte Speicherung von Telekommunikationsdaten schwere Straftaten verhindern lassen. Auch bei der Verhandlung vor dem europäischen Gerichtshof haben die Vertreter der Mitgliedstaaten die Richter nicht von der Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung überzeugen können.

Trotzdem wiederholen Befürworter der Vorratsdatenspeicherung
gebetsmühlenartig, dass die Sicherheitsbehörden ohne Vorratsdatenspeicherung
Im Digitalzeitalter blind seien.

Das Gegenteil ist richtig: Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste
verfügen heute über mehr Informationen denn je! Das wissen wir nicht erst von
Edward Snowden.

Mit der Digitalisierung aller Formen von Kommunikation und mit der Erfassung der
Verkehrsdaten bei normalen Geschäftsprozessen können Behörden heute auf
riesige Bestände personenbezogener Daten zugreifen.

Es ist deshalb eine grobe Irreführung, wenn hier von Blindheit gesprochen wird.
Dass Sicherheitsbehörden aus ganz anderen Gründen blind sein können – vielleicht
auch nur auf einem Auge – dafür stehen die durch parlamentarische
Untersuchungsausschüsse zu Tage geförderten Erkenntnisse über das Versagen
bei der Aufklärung des Terrors der rechtsextremen NSU.

Es ist wichtig, weiterhin gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung
öffentlich Stellung zu beziehen. Diese anlasslose, umfassende Datenspeicherung
steht in diametralem Widerspruch zur Unschuldsvermutung. Sie formuliert einen
Generalverdacht gegenüber jedermann und jeder Frau und sie erhöht die ohnehin
riesigen Datenberge weiter. Das widerspricht unseren Grundrechten!

Deshalb ist es unsere Bürgerpflicht, zu widersprechen!

Es gilt das gesprochene Wort.