Zwangsregistrierung verletzt Grundrechte von Sexarbeiter_innen

Rede Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor:
Ihre Schwester arbeitet als Journalistin und verliert darum das Sorgerecht für ihre Kinder.

Oder:
Ihr Onkel empfängt gelegentlich Gäste, denen er seine Kurzgeschichten vorliest, und verliert deswegen seine Wohnung.

Oder:
Die Klassenlehrerin Ihrer Kinder spielt in ihrer Freizeit als Bassistin in einer Rockband und wird darum aus dem Öffentlichen Schuldienst entlassen.

Sie können sich das nicht vorstellen?

Nein, es gibt keine Zentralverzeichnisse, in denen Menschen auf Grund ihrer Tätigkeit als Journalist_innen, Schriftsteller oder Musiker_innen bei den Kommunen registriert sind. Journalist_innen, Schriftsteller_innen und Musiker werden auch nicht auf Grund ihrer Tätigkeit stigmatisiert.

Bei Sexarbeiter_innen ist es jedoch anders.

Die Einführung des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 war ein großer Fortschritt. Die Sexarbeit war von dem Moment an nicht mehr sittenwidrig. Sexarbeiter_innen konnten erstmals ihre Honorare einklagen. Und sie bekamen Zugang zu den Sozialversicherungen.

Bei der Stigmatisierung von Sexarbeit und Sexarbeiter_innen ist dagegen alles beim Alten. Sexworker führen in den allermeisten Fällen ein Doppelleben, damit sie selbst oder ihre Familie nicht sozial benachteiligt werden.

Das wissen auch die Behörden. Zum Beispiel: Bei den Arbeitsagenturen empfehlen Berufsberater ehemaligen Sexarbeiter_innen, die in einem anderen Beruf arbeiten wollen, in ihrem Lebenslauf zu lügen, anstatt wahrheitsgemäß ihre Sexarbeit anzugeben.

Und nun plant die Große Koalition die Zwangsregistrierung für Sexarbeiter_innen. Sexarbeiter_innen sollen zwangsregistriert werden, weil sie Sexarbeiter_innen sind.

Die Große Koalition möchte wissen, wo die Sexarbeiter_innen sich aufhalten. Das will die Große Koalition wissen, um Sexarbeiter_innen beim Ausstieg aus der Sexarbeit zu helfen – ob sie aussteigen wollen oder nicht.

Die Große Koalition behauptet, mit der Zwangsregistrierung legale von illegaler Prostitution unterscheiden zu können. Auf diese Weise lasse sich so genannte „Zwangsprostitution“ aufdecken.

Die Wahrheit sieht jedoch anders aus:

Mit dem erklärten Ziel, Sexarbeiter_innen zu ihrem Schutz zu registrieren, werden Sexarbeiter_innen entmündigt. Die Große Koalition geht davon aus, dass Sexarbeiter_innen nicht eigenverantwortlich handeln können, und zwar weil sie Sexarbeiter_innen sind.

Die Vorratsdatenspeicherung in der Sexarbeit, die Registrierung, ob unter Zwang oder freiwillig, bietet keinerlei Schutz. Die Eintragung in eine Kartei bewahrt keine Person zu keinem Zeitpunkt davor, überfallen, ausgeraubt oder Opfer von Menschenhandel zu werden.

Darüber hinaus liefert die große Koalition damit Sexarbeiter_innen vorsätzlich vermeidbaren Gefahren aus. Wenn ein Klient von einer Sexarbeiter_in die Vorlage ihres Hurenausweises verlangen darf, werden Stalking und Nachstellung Tür und Tor geöffnet.

Das Wichtigste jedoch: Mit der Zwangsregistrierung schränkt die große Koalition die Grundrechte von Sexarbeiter_innen ein:

  • das Recht auf informationelle Selbstbestimmung,
  • und das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt!

Und darum rufen wir euch auf: Solidarisiert euch mit uns! Erinnern wir die Politik daran, dass Sexarbeiter_innen Menschen sind wie andere auch! Solange die Grundrechte von Sexarbeiter_innen verletzt werden, wird jeder Rote Regenschirm die verantwortlichen Politiker daran erinnern – hier in Berlin am Bundestag, in Bremen, Bayern, Bielefeld und auf der ganzen Welt!