Rede Matthias Spielkamp (Reporter ohne Grenzen)
Liebe Freunde und Mitstreiter,
es wäre schön, wenn diese Demonstration endlich überflüssig würde. Stattdessen ist sie notwendiger denn je. Nie zuvor wussten wir so gut wie jetzt, wie unsere Regierung unsere Bürgerrechte verletzt, uns dann darüber belügt und uns schließlich auch noch ins Gesicht lacht. Wer den Schaden hat, braucht für de Spott nicht zu sorgen, heißt es, aber wer hätte gedacht, dass die Regierungskoalition in einem demokratischen Land die Frechheit besitzt, ihre Wähler nach diesem Sinnspruch zu behandeln.
Aber wir haben sie uns ja ausgesucht, und daher sollten wir uns nicht beklagen. Sondern es ändern. Denn das ist es, worauf es mir und worauf es Reporter ohne Grenzen heute ankommt: zu sagen, dass wir etwas ändern können.
Viele von uns waren selten so frustriert wie im Moment. Wie sollen wir uns auch vorkommen, wenn in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags drei Verfassungsexperten sagen, was die Geheimdienste unter Anleitung und Duldung der Regierung tun, ist verfassungswidrig, und das Ergebnis ist, dass die Regierung mit den Schultern zuckt und weiter macht wie bisher? Was sollen wir denken? Natürlich kommen wir uns hilflos vor. Wir kommen uns ohnmächtig vor. Aber je hilfloser und ohnmächtiger wir uns fühlen, umso besser für diejenigen, die uns hilflos und ohnmächtig sehen wollen.
Aber wir sind nicht hilflos und ohnmächtig. Jede und jeder von und hat eine Stimme. Nicht nur bei der Bundestagswahl. Auch bei der Landtagswahl, auch bei der Wahl der Kommunalparlamente. Jede dieser Stimmen kann ein Zeichen sein. Dafür, dass wir genug davon haben, wie uns die Regierungsparteien verschaukeln. Ein Zeichen dafür, dass wir wollen, dass Edward Snowden in Deutschland aussagen darf und nicht fürchten muss, an die USA ausgeliefert zu werden. Ein Zeichen dafür, dass wir keine Geheimdienste wollen, die uns Bürgerinnen und Bürger gegen Recht und Gesetz überwachen und ausspionieren. Ein Zeichen dafür, dass wir wollen, dass die Geheimdienste wirklich demokratisch kontrolliert werden. Oder eben ein Zeichen dafür, dass wir überhaupt keine Geheimdienste wollen, wenn unsere Regierung und unsere gewählten Vertreter in den Parlamenten nicht in der Lage sind, dafür zu sorgen, dass sie sich an Recht und Gesetz halten. Wir sind nicht hilflos und ohnmächtig. Wir können uns wehren, indem wir unsere E-Mails verschlüsseln. Indem wir unsere Internetverbindungen verschlüsseln. Indem wir unsere Daten auf unseren USB-Sticks und Festplatten verschlüsseln. Indem wir die Kosten für die Dienste erhöhen, uns auszuspionieren.
Viele werden sagen: Das ist was für Nerds, das macht kein normaler Nutzer, und wir verhalten uns damit, wie es Ex-Innenminister Friedrich gern hätte: indem wir uns auf den Selbstschutz zurück ziehen, weil wir die Hoffnung in die Politik verloren haben. Aber wir können das eine tun, ohne das andere zu lassen. Lasst und jede Möglichkeit nutzen, die wir haben. Ich kann mich an keinen Zeitpunkt erinnern, zu dem ich mehr Initiativen und Unternehmen gesehen hätte, die sich darum kümmern, bessere Technologien zu schaffen, um unsere Privatsphäre zu schützen.
Wir sollten die Initiativen und die Unternehmen unterstützen und die Technologien nutzen, um damit ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen dafür, dass wir ihre Hilfe dringend brauchen, und dass wir sie wertschätzen.
Wir sind nicht hilflos und ohnmächtig. Denn als Bürgerinnen und Bürger in einem marktwirtschaftlichen System haben wir nicht nur eine Stimme in der Politik. Wir haben auch mehr als eine Stimme im Portemonnaie. Und wenn wir von Unternehmen fordern, dass sie „privacy by design“ beherzigen, dass sie unsere Daten so gut sie können vor dem Zugriff des Staats schützen, und unser Geld woanders hintragen, wenn die Unternehmen es nicht tun – dann haben wir auch dadurch eine Stimme.
Und zuletzt: Wir alle sind nicht hilflos und ohnmächtig. Aber einige von uns können mehr Einfluss ausüben als andere, allen voran Journalisten, Software- und Technik-Entwickler und die Mitarbeiter der Behörden und Geheimdienste. Wer in den Medien arbeitet und entscheidet, dass das Thema Überwachung keines ist, dass sie oder ihn selbst oder die Leserinnen und Leser betrifft, verschenkt seinen Einfluss und macht sich selber hilflos und ohnmächtig. Wer als Entwickler denkt, dass der Schutz vor Überwachung kein Thema ist, sollte vielleicht noch einmal darüber nachdenken, wo es in den eigenen Produkten doch eine Möglichkeit gibt, besser für diesen Schutz zu sorgen. Ganz zu schweigen von den Entwicklern, die an Überwachungs- und Spionagetechniken arbeiten. Sie sollten sicherlich mehr als je zuvor darüber nachdenken, ob sie das richtige tun.
Und schließlich: Wir brauchen viele Edward Snowdens, wir brauchen viele Chelsea Mannings! Wer bei den Geheimdiensten arbeitet oder in anderen Behörden und sieht, dass dort gegen Gesetze verstoßen wird: lasst es uns alle wissen! Wer in Unternehmen arbeitet und sieht, dass dort gegen Gesetze verstoßen wird oder gegen den Willen der eigenen Kunden: lasst es uns wissen.
Wir sollten Friedrich und seine Kollegen beim Wort nehmen, aber anders, als sie es sich wünschen: Wenn unsere Regierung uns ausspioniert, uns darüber belügt und keinen Finger dafür rührt, das zu ändern, dann müssen wir eben zur Selbsthilfe greifen. Freiheit statt Angst!